Donnerstag, 25. Oktober 2012

Kultur und Reiserei




Rahel, Esther, Jules im Lake Bunyonyi

Ich kann nicht mehr schlafen. Bin gerade sehr unsanft von den Bauarbeitern unmittelbar vor meinem Fenster geweckt worden. Wie im Moment eigentlich jeden Morgen. Ich mein, was spricht auch dagegen, sein Handy mit voll aufgedrehter ugandischer Musik genau (!) vor mein Fenster zu legen. War bestimmt nur nett gemeint. Haha. Bin genervt. Das hat der Typ dann auch zu spüren bekommen, als ich ihn höflichst gebeten habe diese Musik bitte auszuschalten. Es tat ihm seinen Worten nach ganz schrecklich leid. Bin gespannt welches Lied morgen dran ist …

Naja so komm ich wenigstens nochmal dazu, euch hier ein Update zu geben.
In letzter Zeit ist viel passiert, ich hab schon so einiges von Uganda als Land und auch von der Kultur gesehen. Leider konnte ich deshalb weniger Zeit im Malayakahaus verbringen, aber man kann halt nicht alles haben.
Anfang Oktober war ich mit Lena auf einem Konzert in Kampala. Mir fehlt es irgendwie, auf Konzerte zu gehen und ich wollte auch einfach mal wissen, wie ein Konzert in Uganda so abläuft. Im Nachhinein kann ich sagen, dass es für mich persönlich der totale Reinfall war. Wir waren auf einem Konshens Konzert … Sagt euch nix?! Gut, mir nämlich vorher auch nicht. Hab dann leider auch erst viel zu spät gemerkt, dass das so gar nicht meine Musik ist. Lena ist voll drauf abgegangen und hatte ne Menge Spaß, was mich wirklich für sie freut, aber nach 6 Stunden Rumstehen und gefühlten 100 kleinen Voracts hatte ich dann doch die Nase voll. Hinzu kamen, wie so oft hier, Bauchschmerzen und Magenfaxen. Die Location war ansonsten aber ganz cool, das ganze war open air und die riesen Bühne auf dieser Wiese hat mich fast ein bisschen ans Hurricane in Scheßel erinnert. Ach und, was vielleicht noch zu erwähnen ist, sind die Frauen, die dort waren, die an dem Tag ihre Klamotten glaub ich alle extra ne Nummer zu klein gekauft haben und einfach nur billig aussahen. Lena's Gastvater, der uns begleitet hat, hat nur geschmunzelt über unsere erschrockenen Blicke und meinte, dass viele von denen auch hier sind, um am Ende einen Mann mit nach Hause zu nehmen.
Esther und ich im Gomez
Ich glaube ich bin nicht die einzige der Freiwilligen, die hier hin gekommen ist, mit der Erwartung immer Schulter und Knie bedeckt zu halten, Ausschnitt sowieso gar nicht zu zeigen und sich auch sonst eher dezent zu kleiden. Die Frauen hier sind teilweise das komplette Gegenteil. Das hätte ich absolut nicht erwartet.

Am Abend des 8. Oktober haben wir dann hier in Entebbe in den Unabhängigkeitstag von Entebbe „reingefeiert“. 50 Jahre Independence war für uns ein Anlass, die traditionelle Kleidung der Baganda anzuziehen. Es wurde groß im Park gefeiert, mit Boxkämpfen, Rednern (wir haben mal wieder kein Wort verstanden, weil alles auf Luganda war) und unendlich vielen Tänzern. Zu diesen Tänzern gehörten auch wir. Das war ne super coole Erfahrung dort auf der Bühne in bagandischer Kleidung zu stehen und vor 100en von Ugandern zu tanzen. Wir wurden am Ende richtig abgefeiert und ganz viele Menschen, die wir noch nicht mal kannten haben sich bei uns bedankt, dass wir für sie getanzt hatten. Das war echt irre irgendwie :-)

Am 13. Oktober sind wir dann aufgebrochen zu unserer ersten großen Reise. Esther und ich brauchten ein neues Visum (ja, meine ersten 3 Monate sind schon rum...) und haben die Ausreise nach Ruanda mit einem Trip nach Kabale am Lake Bunyonyi verbunden. Seit dem 12. ist auch Esther's Schwester mit ihrem Freund hier zu Besuch, die zwei haben uns dann auf unserer Reise begleitet.
Die Fahrt war ein Erlebnis für sich und eigentlich könnte ich ihr sogar einen ganzen Blogeintrag widmen, aber ich will mich fürs erste kurz halten, alles weitere dann, wenn ich in 55 Tagen wieder zuhause bin.
Haben in Kabale eine 2-Tages-Kanu-Trekking-Tour gemacht. Dabei sind wir in kleinen Holzbooten aus ausgehöhlten Baumstämmen über den Lake Bunyonyi gepaddelt, haben die Inseln im Lake besucht, eine Nacht bei Einheimischen auf einer Insel im Zelt verbracht, den Mount Karembe bestiegen, Tänze der Einheimischen gesehen und – nicht zu vergessen – immer unglaublich gut gegessen. Es war super interessant und wir hatten ne Menge Spaß.
Einheimische einer Insel im Lake Bunyonyi tanzen für uns
Esthi und Jules unterwegs in Ruanda
Am 17. Oktober sind Esther und ich dann alleine weiter Richtung Ruanda. Von Kabale aus wurde uns im Hostel in dem wir geschlafen haben ein Fahrer empfohlen, der uns für umgerechnet ca. 6 Euro nach Kigali, der Hauptstadt Ruandas gefahren hat. Anfangs war mir der Typ doch etwas suspekt aber es hat alles super geklappt. Wir mussten beim Grenzübergang noch nicht mal unsere Taschen aufmachen zur Gepäckkontrolle. Es ist nämlich nicht erlaubt Plastiktüten mit nach Ruanda zu nehmen. Das Land ist in so vielen Aspekten einfach komplett anders als Uganda. In Ruanda sucht man vergeblich Berge von Müll, die man in Uganda so gewohnt war. In den Supermärkten gibt es Papier- statt Plastiktüten, die Motorradtaxis dürfen maximal eine Person mitnehmen und müssen außerdem Helme tragen, es gibt hochmoderne Ampeln mit Countdown, wann man fahren darf und nicht zu vergessen, man fährt wieder auf der rechten Straßenseite. Ruanda ist unglaublich schön, auch wenn dort nicht viel los ist. Peace, meine Gastcousine aus London hat mir vor unserer Reise die Nummer von Danny gegeben, einem Freund in Ruanda. Er war echt unser Held. Hat uns vom Taxipark abgeholt, uns eine Unterkunft besorgt, uns rumgeführt, ist mit uns Taxi und Motorradtaxi gefahren, hat uns gute Restaurants gezeigt und war einfach immer super lieb. Er spielt Sitzvolleyball als nicht-behinderter und war letztes Jahr sogar bei den Paralympics in London mit dabei. Unsere Zeit in Ruanda war leider nur sehr kurz, nach 1,5 Tagen saßen wir schon wieder im Bus nach Kampala.
Danny - thanks for guiding us around!
Besonders eindrucksvoll war auch der Besuch des Genoziddenkmals in Nyamata, eine dreiviertel Stunde entfernt von Kigali. Dort haben wir eine der Kirchen besucht, in der 1994 so unglaublich viele Menschen umgebracht worden sind. Es war schrecklich. Zumal Danny das alles vor 18 Jahren live miterlebt hat. Er ist damals mit seiner Familie in den Kongo geflüchtet. Es war auch für ihn das erste Mal, diese Kirche zu besuchen. Auf der Rückfahrt haben wir kein Wort mehr gesprochen – uns dreien fehlten einfach die Worte.

Am Freitag den 19. früh sind wir dann wieder in Kampala angekommen. Auf dem Weg vom Busbahnhof zum Taxipark wurden Esther und ich von einem betrunkenen Geisteskranken verfolgt. Er ist bestimmt 15 Minuten hinter uns hergelaufen, hat uns beschimpft, wir hätten seine Familie umgebracht und hat sogar versucht uns anzuspucken. Solche Angst hatte ich glaube in meiner gesamten Zeit hier noch nie. Waren dann unglaublich froh als wir irgendwann im Gewirr der Straßen und Menschen den Taxipark gefunden hatten und im Taxi zurück nach Entebbe saßen.
Noch am gleichen Tag hab ich ziemlich hohes Fieber bekommen und hab total Panik geschoben bezüglich Malaria.
Am nächsten Tag gings mir schon wieder besser, aber meine Gasteltern haben trotzdem darauf bestanden, einen Malariatest zu machen. Also bin ich zum Taxipark hier in Entebbe . Dort war ein kleiner Raum, über dessen Eingang irgendwas mit Klinik stand (eine Tür gabs nicht, nur einen Vorhang). Drinnen war eine Frau mit Mikroskop und Spritze (Esther hat zum Glück gesehen, dass sie Nadel aus einer neuen Packung geholt wurde, sonst hätte ich jetzt wahrscheinlich mehr Angst vor HIV oder sonstigen Krankheiten) und der Test hat ca 15. Minuten gedauert. Sie hat mir in den Finger gestochen und mein Blut dann unterm Mikroskop untersucht. Dann hat sie mir noch einen Zettel in die Hand gedrückt auf dem irgendwas unlerserliches stand und meinte „No Malaria“. Da war mein Tag dann gerettet.

Ich war super froh, wieder zurück in Entebbe zu sein. Rumreisen ist ja super schön und interessant, aber irgendwie haben mir schon nach so kurzer Zeit die kleinen Fratze im Malayakahaus gefehlt. Sie sind es einfach, die mich hier jeden Tag glücklich machen.

Am Mittwoch bin ich dann mit meinem Gastvater, Lorenz und meinen Gastbrüdern nach Jinja gefahren zu Function von Hope, meiner Gastcousine. Die Function ist eine riesige Feier vor der Hochzeit, bei der der Bräutigam den Eltern der Braut vorgestellt wird und quasi um die Erlaubnis bittet, sie heiraten zu dürfen. Dazu hatten wir wieder die traditionelle Kleidung an und als „Schwestern“ der Braut durften wir auch wieder vor allen Leuten zu Begrü0ung tanzen. Das macht einfach so super viel Spaß. Vielleicht auch gerade deshalb, weil die Leute es nicht gewohnt sind, Muzungu in ihren Gewändern zu sehen. Uns wurde wieder von etlichen Leuten gesagt, wie smart wir doch sind. Ansonsten dauerte die Function ewig lang und ich war froh, neben Joseph, dem Mann meiner Gastschwester Joy, zu sitzen. Er hat mir nämlich die ganzen Bräuche und Rituale erklärt. Ansonsten hätte ich wohl absolut nichts verstanden, die ganze Veranstaltung war nämlich auf Luganda. Abends gabs dann großes Buffet. Und es wurde mit den Fingern gegessen. Reis mit Soße. Das war auch für mich eine neue Erfahrung und ich hab mich irgendwie ziemlich unwohl dabei gefühlt.
Am Samstag steht das nächste Event an – nämlich die Hochzeit. Ich bin mal gespannt.

Die Nacht von Samstag auf Sonntag bleiben wir dann direkt in Kampala und werden Sonntag früh abgeholt zur Safari bei den Murchisonfalls. Ich werde berichten.

Am letzten Sonntag war Elternsprechtag in der Entebbe Junior, der Schule unserer Kids. Wir waren zu sechst dort und haben uns anschließend zusammengesetzt um zu überlegen, was man verbessern kann. Walther ist momentan hier und es ist toll, von ihm zu hören, welche Fortschritte die Kinder allein in den letzten 8 Monaten gemacht haben. Ganz zu schweigen von den Jahren davor. Es ist auch schön, kleine Fortschritte zu sehen. Und es ist schön zu sehen, wie die Kids einem immer mehr vertrauen und sich mit der Zeit feste Bindungen entwickeln. Es tut so gut, die Kids um sich zu haben. Deshalb freue ich mich auch am meisten auf den November, den ich wieder voll und ganz im Malayakahaus und der Schule verbringen werde.

So langsam wird mir bewusst, dass meine Zeit hier sich schon ganz bald dem Ende zuneigt. Es ist immer richtig seltsam zu hören, dass ihr in Deutschland friert, Blätter fegen müsst und schon die ersten Weihnachtslieder im Radio laufen. Ich werde hier glaub ich so gar nicht in Weihnachtsstimmung kommen. Es ist die meiste Zeit nach wie vor richtig heiß – fast schon zu heiß, um sich zu bewegen. Kriege dann glaub ich erstmal einen Kälteschock wenn ich zurück in Deutschland bin. Und danach freue ich mich auf das deutsche Essen. Oh Gott ich freu mich so unglaublich. Und darauf, alles in die Waschmaschine zu stopfen und es wirklich sauber wieder raus zu holen. Auf Dauer ist die Handwäsche doch nervig.